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Jede Geschichte zählt: Zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen braucht es Behörden und Zivilgesellschaft

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Jede Geschichte zählt

Zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen braucht es Behörden und Zivilgesellschaft.

Jede Geschichte zählt

Zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
braucht es Behörden und Zivilgesellschaft.

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llzu oft werden Gewalttaten an Frauen immer noch als Einzelschicksale betrachtet, statt als Ausdruck geschlechterspezifischer Gewalt, wie sie weltweit Frauen täglich erleben. Der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November ist ein wichtiger Tag, um betroffenen und ermordeten Frauen zu gedenken [1], mit Aktionen auf das Ausmaß von Gewalt an Frauen aufmerksam zu machen sowie politische Forderungen zu stellen, um Veränderung zu erreichen. Denn jede Geschichte zählt, so wie die von Debiee* aus Guatemala, die mehrfach sexualisierte Gewalt überlebt hat.

Ein Fachbeitrag von Christiane Dorothea Ramm, Advocacy Team von IJM Deutschland.

⚠️ Triggerwarnung:
Der folgende Text befasst sich mit verschiedenen Formen geschlechtsbasierter Gewalt, insbesondere mit sexualisierter Gewalt.

Die vielen Gesichter geschlechtsbasierter Gewalt

Geschlechtsbasierte Gewalt [2] fußt in vielen Gesellschaften auf ungleichen Machtverhältnissen und hat viele Gesichter. Die meist männlichen Täter nutzen ihre Machtposition häufig aus, um körperliche Gewalt, sexualisierte und psychische Gewalt auszuüben. Eine geschlechterspezifische Ausprägung der körperlichen Gewalt stellt die Genitalverstümmelung dar. Beispiele für psychische Gewalt sind ständige Kontrolle oder gezielte Manipulation und Verunsicherung Betroffener durch sogenanntes Gaslighting.

Eine weitere Gewaltform ist verbale Gewalt, welche mitunter Beschimpfungen und Drohungen umfasst. Gewalt in Partnerschaften ist zudem oft verbunden mit ökonomischer Gewalt. Finanzielle Mittel und die Ausübung eines Berufes der Betroffenen werden so weit kontrolliert, dass sie in eine wirtschaftliche Abhängigkeit vom Täter geraten. Auch soziale Gewalt, bei der der Täter durch die gezielte Isolierung der Frau von ihrem Umfeld eine starke emotionale Abhängigkeit aufbaut, ist oft Bestandteil von Partnerschaftsgewalt. Zwangsehen und die Ermordung von Frauen auf Grund ihres Geschlechts (Femizid), sind weitere Formen der geschlechterspezifischen Gewalt.

Das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen

Gewalt gegen Frauen ist weit verbreitet. Weltweit ist jede dritte Frau von körperlicher oder sexualisierter Gewalt betroffen [3]. Dieser Anteil findet sich auch in Deutschland wieder [4]. In Guatemala verdeutlicht ein aktueller Bericht das Ausmaß, mit dem Gewalt in der Gesellschaft auftritt. In der repräsentativen Umfrage gaben knapp die Hälfte der Frauen (48,8 Prozent) an, mindestens einmal in ihrem Leben einen Vorfall von geschlechtsspezifischer Gewalt erlebt zu haben. Davon waren 34,48 Prozent der Befragten von sexualisierter Gewalt und 31,67 Prozent von psychischer Gewalt betroffen. Etwa 18,14 Prozent der Frauen erfuhren körperliche Gewalt und 14,93 Prozent gaben an, wirtschaftliche Gewalt erfahren zu haben [5].

Debiee aus Guatemala hat sexualisierter Gewalt durch einen Nachbarn, ihren Pastor, ihren Onkel und Bekannten ihrer Familie erfahren. Sie fasst selbst in Worte, wie ihre eigenen Erlebnisse das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen verdeutlichen: “Sie haben mich in der Kirche, bei mir zu Hause oder bei einigen meiner Verwandten missbraucht. All dieser Missbrauch geschah in vermeintlich ‘sicheren Räumen’ und durch ‘sichere und vertrauenswürdige Menschen’.”

Es braucht die öffentlichen Behörden und die Zivilgesellschaft

Fälle wie Debiees, sind keine Einzelfälle, sondern eingebettet in gesellschaftliche und staatliche Strukturen, die Frauen benachteiligen und abwerten. Dies drückt sich unter anderem in frauenfeindlicher Sprache, ökonomischen Benachteiligungen oder diskriminierenden Gesetzen aus.

Betroffene sexualisierter Gewalt sehen sich häufig gesellschaftlicher Stigmatisierung und Schuldzuweisung ausgesetzt. Das führt dazu, dass viele Betroffene nicht über das Erlebte sprechen und keine Anzeige erstatten. Aber auch mangelnde Strafverfolgung und Angst vor Vergeltungsmaßnahmen in Verbindung mit einem Mangel an Hilfsangeboten und Schutzräumen stellen eine enorme Hemmschwelle für Betroffene dar. Nach dem ersten Missbrauch, den Debiee im Alter von fünf Jahren erlebte, dauerte es Jahrzehnte, bis sie das Erlebte nach und nach ihren Eltern und schließlich ihrem Ehemann anvertraute.

Aus diesem Grund arbeitet IJM in Bolivien, Guatemala und Uganda, sowie El Salvador, Honduras, Kenia, Kolumbien und Peru mit dem Fokus auf der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kindern auf verschiedenen Ebenen: Zum einen mit Regierungen und lokalen Behörden und zum anderen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen. So schärft IJM auch in der Gesellschaft das Bewusstsein für die Rechte von Frauen. In Europa bekämpft IJM zudem sexuelle Ausbeutung und Zwangsprostitution als Formen des Menschenhandels, von denen überwiegend Frauen und Kinder betroffen sind.

Debiee erzählt heute mutig ihre schmerzvolle Geschichte. Seit sieben Jahren ist sie Mitglied der Aktivistinnengruppe “Mi Historia Importa” (dt.: Meine Geschichte zählt), der guatemaltekische Zweig des Global Survivor Networks (Globales Netzwerk Betroffener). Mit der Unterstützung von IJM treten Debiee und andere Betroffene ein gegen die Furcht, die viele Betroffene davon abhält, sich jemandem mitzuteilen und Anzeige zu erstatten. Debiee rät Betroffenen: “Wenn du die Möglichkeit hast, Anzeige zu erstatten, tu es. Nicht nur, weil es dir selbst hilft, in ein würdevolles Leben zurückzufinden, sondern tu es auch für andere Betroffene. Man weiß nie, wie viele Betroffene das gleiche erlebt haben, wie du. Aber deine Anzeige kann Kriminelle aufhalten und andere Frauen schützen.”

Auch für Menschen, die Betroffene von Gewalt begleiten, hat Debbie eine Botschaft: “Vielleicht neigst du dazu, dich selbst zu desensibilisieren, um mit allem fertig zu werden, aber bitte tu das nicht. Betroffene brauchen dein Mitgefühl! Gib nicht auf, der Gerechtigkeit zu dienen. Manchmal fühlt es sich an, als würde man gegen den Strom schwimmen, aber gib nicht auf.” Dabei hilft es, sich die Entwicklung des Strafrechtssystem in Guatemala vor Augen zu führen: Betroffene erstatten zunehmend Anzeige und die notwendigen Prozesse der Strafverfolgung werden vollständig durchlaufen: Verhaftungen werden durchgeführt, Anklageschriften eingereicht, abschließende Urteile ausgesprochen.

Neben der Hilfe zur Selbsthilfe durch Betroffene wie Debiee, durch die eine Meldekultur positiv beeinflusst wird, ist es wichtig, dass mehr unterstützende Informationsangebote für Betroffene von sexualisierter Gewalt und ihre Angehörigen zur Verfügung stehen. Dies geht aus einer von IJM in Auftrag gegebenen Studie (2018) zur Entwicklung des Strafrechtssystems in Guatemala hervor [6].

Schulungen für Ermittlende zur Beweissicherung sowie Schulungen für Richter/-innen zu den Herausforderungen für Betroffene bei Gerichtsprozessen und die Einrichtung sogenannter “Gesell-Räume”, in denen traumatisierte Personen außerhalb des Gerichtssaals aussagen können, haben zudem dazu beigetragen, die Qualität strafrechtlicher Ermittlungen zu steigern.

Die Bekämpfung von Gewalt fängt in unserem Umfeld an

Dem kürzlich ersten vom Bundeskriminalamt veröffentlichten Lagebild zu „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten“ [7] zufolge wurde 2023 in Deutschland mit 360 Fällen durchschnittlich fast jeden Tag ein Femizid verübt. Dies beinhaltet noch nicht die Zahl der versuchten Femizide in insgesamt 938 Fällen. 52.330 Frauen und Mädchen erlebten dieser Erhebung nach sexualisierte Gewalt.

Diese Zahlen verdeutlichen, dass Frauen auch hierzulande in unserem Umfeld Gewalt erleben – häufig unbemerkt. Die Bekämpfung von geschlechtsbasierter Gewalt fängt somit in unserem Umfeld an. Dafür müssen wir einen aufmerksamen Blick für die verschiedenen Formen von Gewalt entwickeln, Verdachtsfälle melden, auf Hilfsangebote aufmerksam machen und Betroffene unterstützen. In der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, in öffentlichen Räumen, im Netz, in religiösen Gemeinschaften, in der Familie und im Bekanntenkreis.

Hilfsangebote

Du hast Gewalt erlebt oder wahrgenommen? Hier findest du verschiedene Hilfsangebote, die dir anonym und kostenfrei zur Verfügung stehen:

* Die Betroffene hat der Verwendung ihres Namens zugestimmt.

Anmerkungen und Quellen

[1] Auslöser, diesen Tag zu einem Gedenk- und Aktionstag zu erklären war die Ermordung der Mirabal Schwestern am 25. November 1960 in der Dominikanischen Republik.

[2] Der Begriff “geschlechtsbasierte Gewalt” schließt alle Menschen mit ein, die auf Grund ihres Geschlechts Gewalt erfahren. Außer Frauen und Mädchen sind hiervon vor allem auch intergeschlechtliche, nichtbinäre und allgemein Transpersonen betroffen.

[3] UN (2018) Violence against women prevalence estimates, 2018: global, regional and national prevalence estimates for intimate partner violence against women and global and regional prevalence estimates for non-partner sexual violence against women. Geneva: World Health Organization; 2021. S. XVI.

[4] BMFSFJ (2024) Formen der Gewalt erkennen.

[5] Instituto Nacional de Estadística Guatemala (2024) Estadísticas de Violencia en Contra de la Mujer y Violencia Sexual 2023

[6] IJM (2018) Final Evaluation of Program to Combat Sexual Violence Against Children and Adolescents in Guatemala 2005-2017.

[7] BKA (2024) Bundeslagebild 2023: Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten.

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