Dietmar Roller, Vorstandsvorsitzender von IJM Deutschland, klärt über die aktuelle Situation der COVID-19 Pandemie in Südasien auf.
Dietmar, wie schätzt Du die aktuelle Lage der Pandemie in Südasien ein? Was hörst Du aus unseren Büros?
Ich habe im Moment täglich Kontakt, auch gerade erst wieder, unter anderem mit unseren IJM Teams. Sie sind im Homeoffice oder unterwegs im Einsatz. Einige sind erkrankt oder müssen sich um Angehörige kümmern. Es ist wirklich traurig, einige Menschen, die ich kannte, sind bereits verstorben.
Die Berichte in den Medien sind leider nicht übertrieben, die Wirklichkeit ist oft noch schlimmer. COVID-19 wütet in Südasien mit einer ganz anderen Kraft als bei uns. Menschen aus allen Schichten erkranken und sterben. Trotzdem beobachten wir die schwersten Auswirkungen bei denen, die sowieso benachteiligt waren.
Wen trifft die Krise am meisten? Und warum?
Sehr stark betroffen sind Menschen mit geringem Verdienst oder tageweiser Beschäftigung, gerade die sogenannten "Unberührbaren" (Dalits). Einige von ihnen verrichten Arbeit mit hohem gesundheitlichen Risiko, z.B. das Putzen von Toiletten. Ihr Immunsystem ist geschwächt, so dass ein aggressives Virus leicht tödlich sein kann. Viele Geringverdiener allerdings haben im Lockdown gar kein Einkommen. Da sind schnell alle Reserven aufgebraucht und ganze Familien landen auf der Straße. Auch Kinder ohne Eltern.
Was tut IJM, um zu helfen?
Unsere Teams tun, was sie können. Wie im letzten Sommer schon werden an vielen Orten Notrationen gepackt und verteilt, dabei unterstützen wir unsere Partner. Es fehlen wirklich einfache Dinge: Essen, Hygieneartikel, ein Laken für die Nacht.
Und dann machen wir seit dem letzten Jahr gute Erfahrungen mit "drop-in centers" (Anlaufstellen) an Bahnhöfen. Denn an Bahnhöfen halten sich viele Gestrandete, verwaiste Kinder und Arbeitslose auf, in der Hoffnung auf Essen oder Beschäftigung. Leichte Beute für Menschenhändler! Wir wissen, dass Kriminelle diese besonders Verletzlichen systematisch suchen. Menschen werden zu Hunderten in die großen Städte verschleppt und verkauft. Unsere Anlaufstellen bieten hier Schutz und erste Hilfe, vermitteln an Sozialdienste.
Wie wird es in den nächsten Monaten in Südasien weitergehen?
Uns beschäftigt bereits jetzt, welche Auswirkungen die Corona Pandemie in den nächsten Monaten mit sich bringen wird. Wie gesagt: Viele sind jetzt akut von Ausbeutung und Sklaverei bedroht. Das wird uns noch lange beschäftigen, auch wenn das Virus besiegt ist. Wir müssen eine längerfristige Begleitung derer angehen, die es besonders hart getroffen hat. IJM wird sich hier programmatisch noch stärker auf Kinder und Minderheiten fokussieren.
Welche Unterstützung wird jetzt gebraucht?
Es gibt viele Organisationen, die ganz aktuell Nothilfe leisten. Das ist wichtig. Aber unser Fokus als IJM ist es, jetzt rechtzeitig an die Folgen zu denken und das Schlimmste zu verhindern. Besonders Betroffene zu schützen. Einen massiven Anstieg von Sklaverei zu verhindern. Dafür brauchen wir Unterstützerinnen und Unterstützer, die diese nachhaltige und langfristige Strategie mittragen.