Seit dem 1. Januar 2022 ist in Deutschland das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vollständig in Kraft. IJM begrüßt den Schritt des Deutschen Bundestags, mit Anpassungen im Strafrecht den Deliktsbereich sexuellen Missbrauch neu zu ordnen, um diese Straftaten gegen Kinder besser zu erfassen. Doch entscheidende Fragen bleiben offen.
Mit der Gesetzesänderung reagiert die Politik nicht nur auf schockierende Missbrauchsfälle wie in Staufen, Bergisch-Gladbach, Lügde und Münster. Auch die Online-Kommunikationsmöglichkeiten der Gegenwart stellten ein Gefährdungspotential für Kinder dar, so die weitere Begründung. Das Risiko, dass sich Täter/-innen mit Missbrauchsabsicht Kindern im Internet nähern hätte sich dadurch weltweit erhöht.
Mit der Gesetzesreform werden einige Lücken im Strafrecht geschlossen, um Kinder besser vor sexuellem Missbrauch zu schützen. Wir begrüßen daher die beschlossenen Maßnahmen wie die Verschärfung des Strafrahmens und die Erfassung von digitaler Kommunikation als Mittel zum Missbrauch. Abzuwarten bleibt allerdings, ob die neuen Bestimmungen durch die Justiz auch konkret umgesetzt werden und wie es sich auswirkt, dass keine Regelung für minder schwere Fälle getroffen wurde.
Schutz vor sexueller Online-Ausbeutung nur in einem ersten Schritt erreicht
Unklar bleibt auch nach der Reform, wie die sexuelle Ausbeutung von Kindern per Livestream im Strafrecht erfasst werden kann. Zwar werden sowohl die Beschaffung und Verbreitung, als auch der Besitz von Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern zukünftig als Verbrechen eingestuft und mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr geahndet.
Aus juristischer Sicht erfüllt eine Liveübertragung sexuellen Missbrauchs allerdings keinen der genannten Tatbestände. Wie also konkrete Fälle verhandelt werden, bleibt weiter von der rechtlichen Auslegung der zuständigen Richter/-innen abhängig. Auf diese Weise könnte ein juristisches Schlupfloch bestehen bleiben und verhindern, dass der aktuell verschärfte Strafrahmen zum Greifen kommt.
Weiterhin sehen die Neuerungen im Gesetz vor, den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern künftig um Handlungen mit oder vor Dritten zu erweitern. Allerdings wird nur unzureichend geklärt, welche Rolle eine dritte beteiligte Person innehat.
So sind Dritte zwar als Haupttäter zu betrachten, wenn sie dafür bezahlen, den sexuellen Missbrauch eines Kindes per Livestream zu konsumieren oder sogar zu „dirigieren“. In den überarbeiteten Wortlaut des Gesetzestextes wird das aber nicht eindeutig aufgenommen. Fälle sexueller Online-Ausbeutung könnten daher vor Gericht – je nach Auslegungen des Gesetzes – uneinheitlich entschieden werden.
Chance Koalitionsvertrag
Nach wie vor bleiben also Gesetzeslücken bestehen, die es zu schließen gilt. In ihrem Koalitionsvertrag hat sich die neue Bundesregierung darauf festgelegt, das geltende Strafrecht systematisch zu überprüfen und zu modernisieren. Eine Chance, in dieser Legislaturperiode die strafrechtlichen Grundlagen zu schaffen, um der sexuellen Ausbeutung per Livestream angemessenen entgegenzutreten.
Gleichzeitig sollen technische Lösungen zum Einsatz kommen, die den zuständigen Behörden ermöglichen, ihre Ermittlungen gegen sexuelle Online-Ausbeutung auszuweiten.
Konkret verweist IJM in einer Petition auf kritische Gesetzeslücken im Strafrecht, die bislang verhindern, dass die sexuellen Online-Ausbeutung von Kindern effektiv bekämpft werden kann. Wir fordern von der Bundesregierung, zielführende Maßnahmen umzusetzen, um Kinder weltweit vor sexueller Ausbeutung über das Internet zu schützen.