handramma und ihr vierjähriger Sohn wurden in einer Seidenfabrik gefangen gehalten und zur Arbeit gezwungen. Was als Hoffnung auf einen gesicherten Lebensunterhalt begann, wurde zu einem Alptraum. Eingesperrt und ausgebeutet war Chandramma der Verzweiflung nahe. Bis ihr Schicksal eine unerwartete Wendung nimmt.
Chandramma war acht Jahre alt, als sie das erste Mal zusammen mit ihrer Familie in einer Seidenraupenfabrik in Südasien arbeitete. In mühseliger Arbeit werden dort die Kokons der Seidenraupe geerntet und zu Garn gesponnen. Stundenlang müssen die Arbeiterinnen und Arbeiter mit Raupen und siedendem Wasser hantieren sowie Hochgeschwindigkeits-Spindeln betreiben.

Oft ging Chandramma mehrere Jahre lang nicht in die Schule, um ihrer Familie zu helfen, ihren kargen Lebensunterhalt zu verdienen. Später verfolgten Schicksalsschläge und finanzielle Not Chandramma in ihrem Leben. So musste sie auch als Erwachsene immer wieder in den Fabriken nach Arbeit suchen.
Ein verheißungsvolles Angebot für ein besseres Leben?
Anfang 2018 war Chandramma Mutter zweier Söhnen und sehnte sich nach Stabilität in ihrem Leben. Sie war erleichtert, als sie und ihre Schwester Girijamma für eine neugebaute Seidenbau-Anlage nördlich von Bangalore angeworben wurden. Ein Mann hatte ihnen einen Vorschuss von 50.000 Rupien (etwa 620 Euro) angeboten, um dort zu arbeiten. Voller Zuversicht zog Chandramma mit ihrer Schwester und ihrem jüngsten Sohn Hemanth zu der Seidenraupenfabrik.
Aber die Fabrik war anders als alles, was sie bisher erlebt hatte. Der Besitzer war schonungslos und brutal. Die Arbeiterinnen und Arbeiter mussten bis zu 16 Stunden am Tag hart arbeiten, manche schon seit zehn Jahren. Chandrammas Hände waren zerschunden vom siedenden Wasser und verkrampften vom Fadenspinnen. Den Besitzer kümmerte das nicht. Er schlug und schikanierte die Arbeiterinnen und Arbeiter regelmäßig und bestrafte sie hart, wenn sie versuchten zu fliehen.

Chandrammas eigensinniger Charakter machte den Fabrikbesitzer besonders misstrauisch. Um sie am Weglaufen zu hindern, sperrte er sie und ihren vierjährigen Sohn Hemanth sechs Monate lang in eine winzige Zelle. Gefangen in diesem brütend heißen, dunklen Kerker, war Chandramma der Verzweiflung nahe. Sie bekam kaum genug zu essen und viel zu wenig Wasser, um sich und ihren Sohn gesund zu halten.
Doch für ihren Sohn Hemanth kämpfte Chandramma weiter. Eines Tages trat eine überraschende Wendung ein: Chandrammas Schwester Girijimma gelang es, aus der Fabrik zu fliehen und Hilfe zu holen. Sie traf auf einen lokalen Mitarbeiter von IJM und erzählte ihm von der unbarmherzigen Ausbeutung in der Seidenraupenfabrik.

Chandramma wird befreit
Nachdem IJM den Fall an die örtlichen Behörden herangetragen hatten, konnten wir im Februar 2019 gemeinsam mit der Polizei Chandramma, Hemanth und die anderen Arbeiterinnen und Arbeiter aus der Schuldknechtschaft befreien.
Chandrammas Befreiung war Teil einer Reihe von Befreiungsaktionen in Bangalore im Jahr 2019, bei denen 161 Menschen aus der Zwangsarbeit in zwei Seidenfabriken befreit wurden.
IJM und die Polizei waren schockiert über die unmenschlichen Bedingungen, unter denen Chandramma und die anderen Arbeitenden leben mussten. Ein IJM-Mitarbeiter, der an der Befreiungsaktion beteiligt war, berichtet: "Chandramma und ihr Sohn wären sicherlich ums Leben gekommen, hätten wir sie nicht befreien können. Was sie erlebt haben, ist entsetzlich".

Die Behörden brachten Chandramma und die anderen zwölf Arbeitenden in Sicherheit. Anschließend erstatteten sie Anzeige gegen den Fabrikbesitzer wegen Menschenhandels, Zwangsarbeit und Kinderarbeit.
Von einer Betroffenen zu einer Stimme gegen Ausbeutung
Begleitet von IJM hat Chandramma in der Nachbetreuung nicht nur die nötige Unterstützung erhalten, um das Erlebte zu verarbeiten. Nur wenige Monate nach ihrer Befreiung meldete sie sich freiwillig, um öffentlich ihre Geschichte zu erzählen. Als Mitglied einer lokalen Vereinigung ehemaliger Betroffener von Schuldknechtschaft möchte sie heute erreichen, dass andere Menschen geschützt werden vor der Gewalt, die sie selbst erleiden musste.
Ihre IJM-Sozialarbeiterin erzählt: "Ich erinnere mich an ein Foto von Chandramma vom Tag ihrer Befreiung. Es zeigt wie verletzlich sie war, da sie nicht für ihren Sohn Hemanth sorgen konnte. Jetzt hat sie die Unterstützung in einer Gemeinschaft, die es ihr ermöglicht, sich gut um ihre beiden Söhne zu kümmern."

Heute arbeitet Chandramma für eine Hochzeitsplanerin. Sie hat sich geschworen, nie wieder in die Seidenindustrie zurückzukehren. Voll und ganz konzentriert sie sich auf die Erziehung ihrer beiden Söhne, um ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. "In der Sklaverei war mein Leben sehr schwierig. Aber jetzt bin ich glücklich mit dem, was ich habe. Ich kann mein Leben in Freiheit gestalten,“ sagt Chandramma stolz.