bha* war 13 Jahre alt und suchte nach einem Weg, um ihrer Familie aus der Armut zu helfen. Sie vertraute sich älteren Freundinnen an, doch ihr Vertrauen wurde missbraucht: Abha geriet durch sie in sexuelle Ausbeutung und erlebt jahrelang einen Albtraum. Doch das Erlebte macht sie nicht sprachlos - im Gegenteil wird Abha zur mutigen Zeugin vor Gericht.
Abha war ein neugieriges, aufgewecktes Kind, das in einem der ärmsten Stadtteile von Mumbai aufwuchs. Sie liebte es, durch die Straßen zu streifen und die Stadt zu erkunden.
Albtraum in der Kindheit
In ihrem eigenen Zuhause erlebt sie einen Albtraum, den kein Kind erleben sollte: Sie ist gerade mal sechs Jahre alt, als ihr Stiefvater anfängt, sie sexuell zu missbrauchen. Sieben Jahre lang erleidet sie Unvorstellbares, bis die Nachbarn eingreifen und dafür sorgen, dass der Stiefvater verhaftet wird. Er wird zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Niemand kümmert sich um das Trauma des Mädchens. Die Beziehung zu der Mutter, die jahrelang geschwiegen und nicht eingegriffen hat, ist äußerst angespannt. Mit dem Stiefvater im Gefängnis fehlt der Familie das Einkommen. Abha fühlt sich verantwortlich. So macht sie sich auf und sucht nach einer Arbeit, um sich um ihre Mutter und ihren jüngeren Bruder zu kümmern.
Ein Ausweg aus der Armut?
Sie findet eine Anstellung in einer Catering Firma, die sie trotz ihres jungen Alters einstellt. Dort arbeitet sie als Bedienung auf Hochzeiten und Partys und muss sich dabei auf Boxen stellen, weil sie zu klein ist, um den Tisch zu erreichen. Obwohl sie hart arbeitet, verdient sie nur sehr wenig.
Dann lernt sie Beeja* kennen. Die junge Frau nimmt sich Abhas an und stellt sie ein paar anderen Frauen vor. Abha fasst Vertrauen zu den Frauen und erzählt Beeja sogar von der Vergewaltigung durch ihren Stiefvater. Die neuen „Freundinnen“ erzählen ihr von einer einfachen Möglichkeit, viel Geld zu verdienen: Prostitution. Sie sei doch eh schon „beschmutzt“, also spiele es keine Rolle, wenn sie ihren Körper verkaufe. Abha ist 13 Jahre alt, als ihre Ausbeutung in der Zwangsprostitution beginnt.
Verkauft, ausgebeutet und liegen gelassen
In der ersten Nacht wird ihre „Jungfräulichkeit“ für 4,200 US-Dollar verkauft. Beeja und die anderen Frauen behalten das Geld für sich. Für die nächsten zwei Jahre verkaufen sie Abha an 20 bis 30 Kunden täglich, in Privathäusern und auf Partys. Sie ist bei den Kunden sehr begehrt, weil sie so jung und hübsch ist. Abha ist nicht das einzige Mädchen, dass die Frauen um Beeja verkaufen, aber sie ist die jüngste.
Eines Tages mischt ein Kunde ihr Drogen ins Essen. Für Abha beginnt damit ein Abrutschen in einen immer stärkeren Drogenkonsum. Die Mittel helfen ihr, ihre Schmerzen und ihre Angst zu betäuben. Bald kann sie nicht mehr ohne. So findet sie schließlich die Polizei. Sie liegt bewusstlos auf der Straße, in einem der gefährlichsten Stadtteile Mumbais.
Mutiger Kampf für Gerechtigkeit
Im März 2015 wird sie von der Polizei gefunden und in Sicherheit gebracht. In diesem Jahr hatte IJM damit begonnen, 10.000 Polizisten, Anwälte und Sozialarbeiter in Mumbai zu trainieren, damit diese gezielt Menschenhandel erkennen und bekämpfen können. Die Polizisten, die Abha fanden, erkannten daher sofort, dass sie ein Opfer von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung war und benachrichtigten IJM.
IJM übernimmt Abhas Betreuung und hilft ihr, sich auf ihren Gerichtsprozess vorzubereiten. Trotz allem findet sie den Mut, selbst die schmerzhaftesten Details ihrer Geschichte zu erzählen. Sie kann sich ganz deutlich an die Namen und Gesichter von den Zuhältern und Kunden erinnern, die sie missbraucht haben. Die Polizei staunt, wie zuverlässig und genau ihre Angaben sind und zweifelt deshalb auch nicht an ihrer Zeugenaussage. Sie tritt vor Gericht als einzige Zeugin gegen elf Angeklagte auf.
Sie muss vor den Angeklagten im Gerichtssaal wiederholt aussagen und wird von deren Anwälten ins Kreuzverhör genommen. Die IJM Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen während der Befragung den Saal verlassen. Abha hat große Angst, aber steht es tapfer durch. Sie erzählt dem Team, dass sie alles erzählen möchte und sich nicht mehr fürchte. Sie sei nun in Sicherheit und wisse, dass die Täter ihr nichts mehr anhaben können. „Ich habe ihnen vergeben, aber sie dürfen das nie wieder einem anderen Mädchen antun.“
Heilung braucht Zeit
Heute ist Abha 19 Jahre alt und wohnt nach wie vor in einem Übergangshaus, wo sie weiter heilen kann. Sie liebt es, zu malen und Schmuck herzustellen. „Ich bin stolz wie eine Mutter, wenn ich sehe, wie stark sie geworden ist. Sie hat ihre Vergangenheit hinter sich gelassen und geht vorwärts“, berichtet ihre Sozialarbeiterin Lila.
In der Nachsorge kann sie auch zurück in die Schule gehen und holt ihren Abschluss nach. „Ich bin durch viel Leid gegangen, aber ich habe Glück gefunden. Wenn ich in die Zukunft blicke, sehe ich nur Freude.“
*Um die Betroffene zu schützen, verwenden wir Pseudonyme.