Seine Augen werde ich niemals vergessen. Sie gehören einem achtjährigen Jungen aus Geita in Tansania. Seine Augen waren weit aufgerissen, seine dunkle Haut war weiß vom Staub. Das Atmen fiel ihm schwer. Der Schrecken stand ihm ins Gesicht geschrieben. Gerade noch rechtzeitig hatten die Männer über Tage ihn aus einem 70 Meter tiefen verschütteten Stollen gezogen. An einem Seil, mit dem sie sonst den Eimer nach oben zogen, den der Junge unten mit goldhaltigem Gestein füllen musste.
Der Junge war eins von vielen Kindern, die in den Schächten untertage in die engsten Gänge kriechen mussten. Immer wieder stürzten Schächte ein. Ein Schacht neben dem anderen durchlöcherte den Boden des kleinen Hügels im Tropenwald.
Ich denke oft an den Jungen, der an diesem Tag zwar mit dem Leben davon kam. Ob er heute noch lebt? Er und seine Freunde erlebten täglich eine Realität, die vielen von uns kaum bewusst ist: Festgehalten in Sklaverei, der Freiheit und Kindheit beraubt, schwer ausgebeutet, misshandelt - für die Profitgier der Männer, die oben am Schacht das Gold entgegen nahmen.
Noch nie gab es eine so große Zahl von Menschenrechtsverletzungen
Jeden Tag werden Menschenrechte weltweit verletzt. Es gibt nur wenige Staaten, in denen Menschenrechte kaum verletzt werden, denn selbst der demokratische Rechtsstaat westlicher Industrienationen bietet keinen absoluten Schutz vor Übergriffen. Die große Mehrzahl aller Menschenrechtsverletzungen ereignet sich jedoch in Schwellen- und Entwicklungsländern.
40 Millionen Menschen werden weltweit versklavt, mehr als je zuvor in der Geschichte. Moderne Sklaverei zeigt sich in unterschiedlichen Formen, am häufigsten in der sexuellen Ausbeutung, Zwangsheirat und Arbeitsausbeutung - häufig durch Schuldknechtschaft.
Betroffene Kinder, Frauen und Männer leben und arbeiten in Mienen, Bordellen, Fabriken und Kerkern.
Noch nie war eine so große Zahl von Menschen durch Eingriffe in elementare Lebensrechte bedroht oder betroffen wie heute. Diese Situation schockiert und bestürzt mich. Genauso bestürzt es mich, wie viele Menschen gegenüber dieser Ungerechtigkeit blind sind - sei es durch Nichtwissen oder Desinteresse.
Sklaverei greift den Kern der Menschlichkeit an
Sklaverei ist ein Überbegriff von verschiedenen Systemen der Ausbeutung, bei denen Menschen zu Ware werden. Der Mensch wird als Ganzes – Körper, Seele und Geist – versklavt. Die Gewalt eines anderen macht ihn zur Ware mit Verfallsdatum. Bringt der Mensch nicht mehr die geforderte Leistung, wird er ausgetauscht.
Diese ultimative Aneignung eines Menschen dient der größtmöglichen Gewinnmaximierung der Sklavenhalterinnen und Sklavenhalter. Die meisten Menschen in Sklaverei leben in sogenannten „emerging economies“. Sie werden im Untergrund gehandelt und durch arglistige Täuschung, Bedrohung, Gewalt, Nötigung und Missbrauch von Macht festgehalten.
Besonders Kinder sind diesem Verbrechen schutzlos ausgeliefert, wie der Junge in der Goldmine. Für die Mehrheit der insgesamt etwa 300.000 Kindersklaven auf Haiti sind sexueller Missbrauch und Vergewaltigung konstante Begleiter ihres Alltags. Die Not von sexuell ausgebeuteten Kindern über das Internet sprengt meine Vorstellungskraft. Auf den Philippinen werden Kinder live vor einer Webkamera brutal misshandelt und vergewaltigt.
Es sind stummen Schreie, versiegte Tränen, aufgesetzte fröhliche Gesichter für die „Kunden“. Sklaverei ist Folter für die Seele dieser Kinder. Weil Sklaverei systematisch die Unversehrtheit eines Menschen zerstört, ist sie eine der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen überhaupt.
Nicht zu vergessen ist auch, dass Sklaverei einem Menschen die Freiheit und Möglichkeit raubt, sein Potential zu entwickeln. Menschen in Sklaverei wird vorgeschrieben, wann sie schlafen und wann sie essen sollen. Neben der schweren Arbeit wird ihnen gerade nur so viel Zeit zum Überleben gewährt, um produktiv zu bleiben. Es nimmt ihnen das Recht, in Unversehrtheit ein Leben zu gestalten, das in ihrer Verantwortung liegt.
Sklaverei darf uns als Gesellschaft nicht unberührt und untätig lassen. So sehr mich dieses menschenverachtende Unrecht aufwühlt, so sehr wünsche ich mir, dass wir zusammen – durch viele einzelne Stimmen wie deine und meine – laut werden und Veränderung bewirken.