akelins Kindheit endet, als ihr Vater nach Jahren zur Familie zurückkehrt. Angst und Gewalt halten Einzug in das Haus der Familie. Schlimmer noch: ihr Vater beginnt, Jakelin sexuell zu missbrauchen. Bedroht und eingeschüchtert erduldet das Mädchen schweigend das Leid, das ihr über Jahre zugefügt wird. Bis zu dem Tag, an dem sie den Mut findet, ihr Schweigen zu brechen.
Jakelin wuchs auf in einer der ärmsten Gemeinden von Guatemala City. Mit ihrer Mutter und ihren drei Brüdern lebte sie in einem der Lehmziegelhäuser, die sich gefährlich nah an den Rand einer Schlucht drängten. Jakelins Vater hatte die Familie vor Jahren verlassen. Ihre Mutter arbeitete als Hausmeisterin, um für ihre Kinder sorgen und ihnen eine glückliche Kindheit bieten zu können.
Als Jakelin 12 Jahre alt war, trat ihr Vater wieder in ihr Leben. Von diesem Tag an war ihre unbeschwerte Kindheit vorbei.

„Wir waren gefangen in allem, was wir taten.“
Bald nach seiner Rückkehr, begann Jakelins Vater zu trinken und ihre Mutter zu schlagen. Sobald seine Frau morgens zur Arbeit gegangen war, schickte er Jakelin und ihre Brüder in die nahegelegene Schlucht. Dort zwang er die Kinder Holz zu schlagen, um es zu verkaufen.
Doch was ihr Vater Jakelin im Schutz der Dunkelheit antat, war weitaus schrecklicher. Nachts schlich er sich in ihr Zimmer, um das Mädchen zu missbrauchen. „Ich weiß noch, wie er mir den Mund zuhielt, damit ich nicht schreien konnte,“ erinnert sich Jakelin.
Jakelins Vater drohte ihr, dass er ihre ganze Familie umbringen würde, sollte sie jemals ein Wort darüber verlieren. Die Angst vor ihrem Vater lähmte Jakelin. Über drei Jahre hinweg ertrug sie den sexuellen Missbrauch in bitterem Schweigen.

Ein totgeschwiegenes Verbrechen kommt ans Licht
In Guatemala wurden im Jahr 2018 insgesamt 9.867 Fälle von sexueller Gewalt gemeldet. In 65 Prozent der Fälle waren die Betroffenen Kinder. Die meisten von ihnen wurden von einer Person missbraucht, die ihnen nahestand – nicht selten ein Mitglied der eigenen Familie.
In vielen Gemeinden gilt es als Tabu, über sexuellen Missbrauch zu sprechen oder das Verbrechen bei der Polizei anzuzeigen. Die guatemaltekische Regierung geht davon aus, dass auf jede erstattete Anzeige mindestens fünf weitere Fälle kommen, die nicht gemeldet werden. Andere Fälle fallen häufig durch die Lücken des Justizsystems und werden nie abgeschlossen.
So litt auch Jakelin lange Jahre in der Dunkelheit, bis eines Nachts ihre Mutter die schreckliche Wahrheit entdeckte. In ihrem Entsetzen floh sie gemeinsam mit ihren Kindern aus ihrem Zuhause und suchte Schutz in einer Kirche.
Sie wandte sich an die lokalen Behörden und brachte das Verbrechen zur Anzeige. Da sie sich rechtlichen Beistand aber nicht leisten konnte, gab es nur wenig Hoffnung, dass Jakelins Vater jemals zur Rechenschaft gezogen werden würde.
Doch die Staatsanwaltschaft übergab den Fall an IJM. Mehr als ein Jahr lang stellte IJM Jakelin und ihrer Mutter eine Anwältin zur Seite, um sie durch den Gerichtsprozess zu begleiten. Zu wissen, dass sie nicht länger allein war, gab Jakelin die Kraft, vor Gericht gegen ihren Vater auszusagen. Er wurde verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe von acht Jahren verurteilt.
Gerechtigkeit weitergeben
In der Nachsorge von IJM fanden Jakelin und ihre Mutter die nötige Zeit und professionelle Hilfe, um den Schmerz und die Scham über das Geschehene überwinden zu können. Jakelin konnte ihre Schulausbildung abschließen und ist heute selbst Mutter. Als Rezeptionistin und Team-Assistentin arbeitet sie im Büro von IJM Guatemala.

„Dank der Hilfe, die wir erfahren haben, sind wir nicht in der Vergangenheit stecken geblieben. Wir sind in der Lage, nach vorne zu blicken,“ sagt Jakelin heute. „Ich kann mich Problemen stellen und helfen. Und ich weiß, dass es immer jemanden gibt, der bereit ist, anderen zu helfen.“
Seit 2019 repräsentiert Jakelin die Region Lateinamerika im Führungsgremium des Global Survivor Networks (Globales Netzwerk Betroffener). Über dieses Netzwerk setzen sich Betroffene weltweit mit ihrer Stimme dafür ein, dass Justizsysteme Schutz und Sicherheit für marginalisierte Gemeinschaften gewährleisten sollen.

In Guatemala möchte Jakelin weiter dafür kämpfen, das Schweigen zu brechen. Dazu nahm sie im Jahr 2020 ein Jurastudium auf. Als Anwältin möchte sie anderen Betroffenen sexueller Gewalt zeigen, dass auch für sie Gerechtigkeit möglich ist.