Es mag überraschen, aber bei der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern über das Internet können unsere Banken und Finanzdienstleistungsunternehmen eine Schlüsselrolle einnehmen. Auf einer virtuellen Konferenz internationaler Finanzaufsichtsbehörden am 26. November 2024 konnte IJM den Zusammenhang zwischen dem Finanzsektor und der sexuellen Online-Ausbeutung von Kindern aufzeigen. Denn hinter diesem grausamen Verbrechen steckt eine ebenso perfide wie simple Logik: ohne Bezahlung, kein Missbrauch. Von zentraler Bedeutung ist es demnach, verdächtige Geldüberweisungen zu erkennen und zu stoppen sowie zahlende Sexualstraftäter zu identifizieren. Deshalb ruft IJM den Finanzsektor und die deutsche Politik auf, entschlossen zu handeln, um Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen.

Ein dunkles Wohnzimmer wird von dem Leuchten eines Computers erhellt. Ein Mann sitzt vor dem Bildschirm, um einen abscheulichen Kauf zu tätigen. Auf der anderen Seite der Welt, wo draußen noch die Sonne scheint, schreibt eine Frau eine Bitte in ihr Smartphone, gefolgt von einem Angebot:
„Ich brauche mal wieder etwas Geld, am besten schnell“
“Wie viel brauchst du?“
„2000 PHP“
“Was kann ich für 2k bekommen?“
„Die Kinder können die Show machen, aber du musst erst Geld schicken“
“Wie alt sind sie?“
„13 und 7“
“<3 Wie soll ich das Geld schicken?“
Dieser Chatverlauf ist fiktiv. Aber der Wortlaut basiert auf sehr realen Chatprotokollen. Hinter diesen wenigen Zeilen verbirgt sich ein weltweit wachsendes Verbrechen: die sexuelle Ausbeutung von Kindern im Internet (engl.: Online Sexual Exploitation of Children; OSEC). Dieses Verbrechen, auch abgekürzt unter Livestreaming bekannt, wird von Europol als die bedeutendste Form der kommerziellen sexuellen Ausbeutung von Kindern und eine der Hauptquellen für neu erstellte Missbrauchsdarstellungen bezeichnet [1]. Bei OSEC werden Kinder von lokalen Menschenhändler/-innen sexuell ausgebeutet, um Missbrauchsdarstellung an zahlende Täter aus aller Welt zu verkaufen. Diese schauen sich den Missbrauch in der Regel per Livestream an und geben per Chat sogar konkrete Anweisungen.
Kein Geld, keine Tat
Um den Missbrauch von Kindern über das Internet (live) zu verfolgen und zu steuern, zahlen die nachfragenden Täter erschreckend wenig Geld. Der Betrag der 2.000 Philippinischen Peso (PHP), etwa 32 Euro, aus dem fiktiven Chatverlauf ist nicht beliebig gewählt: rund 9 bis 50 US-Dollar kostet eine “Show” im Durchschnitt [2]. Für die Menschenhändler/-innen ein lukratives Geschäft, insbesondere da die meisten von ihnen finanziell motiviert sind [3]. OSEC ist aber kein „Armutsverbrechen“, auch wenn die wirtschaftliche Situation der Menschenhändler/-innen einen Einfluss hat. Vielmehr muss man es als „Gelegenheitsverbrechen“ betrachten. Täter/-innen auf der Angebotsseite können schnell zu Geld kommen bei geringem Risiko, im digitalen Raum entdeckt zu werden.
Täter auf der Nachfrageseite können über eine Vielzahl von Finanzkanälen Geld für den Kauf von OSEC schicken. Dabei nutzen sie auch neue Formen digitaler Währungen sowie Gelddienstleistungsunternehmen und elektronische Zahlungsanbieter. Der kontinuierliche Geldfluss aus überwiegend westlichen Ländern ist der Motor, der dieses verbrecherische Geschäftsmodell unterstützt und aufrechterhält. Auf den Philippinen wird das Verbrechen durch ein Finanzsystem verschärft, das speziell auf Überweisungen aus dem Ausland ausgelegt ist. Denn Überweisungen von im Ausland arbeitenden Filippinos und Filippinas an Angehörige machten 2023 etwa 9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes des Landes aus [4].
In Anbetracht der finanziellen Motivation, die hinter diesem Verbrechen steht, ist es unerlässlich, dass der Finanzsektor an der Bekämpfung dieses Verbrechens beteiligt ist und aktiv einbezogen wird. Erst Ende letzten Jahres wurde ein Täter, der per Livestream Kinder auf den Philippinen missbraucht hatte, durch seine Überweisungen von Europol überführt (siehe hier).
IJM und Finanzermittlungen
Gemeinsam mit lokalen Behörden, nationalen und internationalen Strafverfolgungsbehörden und Nachsorgeeinrichtungen arbeitet IJM auf den Philippinen, um die sexuelle Online-Ausbeutung von Kindern zu bekämpfen. Darüber hinaus kooperieren wir mit einer weiten Bandbreite an Finanzdienstleistungsunternehmen sowie mit Finanzermittlungsstellen (FIUs = Financial Investigation Units), um kriminelle Finanzströme zu stoppen. Im November 2024 wurde IJM eingeladen, auf der von der kanadischen Finanzaufsichtsbehörde FINTRAC und ECOFEL – dem internationalen Kompetenzzentrum der FIU’s - organisierten virtuellen Konferenz „Out of the Shadows“ zu sprechen. David Ruggiero, IJM-Direktor für Kompetenzaufbau in der Strafverfolgung, konnte den anwesenden Finanzermittler/-innen und Finanzdienstleistern dort von seiner langjährigen Erfahrung mit OSEC-Ermittlungen auf den Philippinen berichten.
Ruggiero berichtete von erschreckenden Chatunterhaltungen, in denen eine Menschenhändlerin schmerzhafte sexuelle Handlungen schilderte, die sie ihren Kindern gegen Bezahlung zuzufügen bereit war. „Für sie war das ein reines Geschäft. Sie hätte genauso gut auf dem Markt Obst verkaufen können.“ teilte Ruggiero mit. „Noch schockierender war es, als sich die Verhandlungen um den Preis drehten. Sie stellte eine lange Liste von Zahlungsplattformen zur Verfügung, die für den Geldtransfer genutzt werden konnten. Der Missbrauch würde beginnen, sobald sie das Geld erhalten hatte.“ Ruggiero verdeutlichte, dass jeden Tag Täter/-innen legitime Finanzdienstleistungsunternehmen , soziale Medien- und Messengerdienste nutzen, um OSEC zu ermöglichen - unter ihnen auch Täter aus Deutschland, die für den Missbrauch bezahlen.

Deutschland als Nachfrageland
Beim Philippinischen Rat zur Bekämpfung von Geldwäsche (Anti-Money Laundering Council) gingen allein im Jahr 2022 92.200 verdächtige Transaktionsmeldungen von Finanzdienstleistern ein [5]. Von Mitte 2020 bis Ende 2022 wurden OSEC-bezogene Transaktionen im Wert von ungefähr 1,5 Mrd. PHP an den Rat gemeldet. Das entspricht rund 25 Mio. Euro, gezahlt für die sexuelle Ausbeutung von Kindern in einem Zeitraum von 18 Monaten! In dieser Zeit wurden etwa 3.300 Zahlungen im Wert von fast 330.000 Euro aus Deutschland identifiziert. Da der Missbrauch je nach Form und Anzahl der beteiligten Kinder gerade einmal 10 Dollar kostet, bedeutet dies Tausende von Fällen von Missbrauch an Kindern auf den Philippinen.
Was können Finanzunternehmen tun?
In der Prävalenzstudie „Scale of Harm“ konnte IJM in Zusammenarbeit mit dem Rights Lab der Universität Nottingham 2023 die Verbreitung des Verbrechens auf den Philippinen schätzen. Gemeinsam mit Betroffenen wurden sieben Empfehlungen entwickelt, um OSEC effektiv zu bekämpfen. Darunter „die Maßnahmen, um die Erkennung, Meldung und Sperrung verdächtiger Finanztransaktionen zu beschleunigen“ [6]. Viele Finanzdienstleister sind bereits aktiv, um den Missbrauch ihrer Angebote zu verhindern. IJM unterstützt diese Bemühungen und setzt sich mit Betroffenen dafür ein, dass Finanzdienstleister handeln um:
- eine wirksame Überwachung von Finanztransaktionen einzuführen, um verdächtige Zahlungen zu erkennen, die auf sexuellen Missbrauch und Ausbeutung von Kindern im Internet hindeuten,
- eine verstärkte Sorgfaltspflicht anzuwenden, Verdachtsmeldungen zu beschleunigen und Zahlungen zu blockieren, an denen bekannte oder mutmaßliche Straftäter und Menschenhändler/-innen beteiligt sind.
Die Zahlungen für den Missbrauch per Livestreaming folgen festen Mustern und sind daher gut zu identifizieren. Verschiedene Akteure haben zu diesem Zweck bereits Typologien erstellt [7]. Auch IJM konnte zusammen mit Betroffenen eine Indikatoren-Liste erarbeiten, die es ermöglicht, verdächtige Überweisungen zu erkennen [8]. David Ruggiero von IJM forderte den globalen Finanzsektor auf, Verantwortung zu übernehmen für die auf ihren Plattformen stattfindenden Finanztransaktionen. Ruggiero appellierte an die Beteiligten, durch folgende Maßnahmen konkret zum Schutz von Kindern beizutragen:
- Verdächtige Transaktionen erkennen und stoppen, damit Zahlungen nicht ankommen und Missbrauch überhaupt nicht stattfindet
- Zeitnahe Meldungen an Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden, damit diese eingreifen, um Kinder zu identifizieren und in Sicherheit zu bringen
- Kinderschutz als oberste Priorität verankern, damit Maßnahmen im Finanzsektor dem Schutz von Kindern dienen – nicht nur der Einhaltung von Vorschriften
Die Realität ist, dass jeden Tag Geld für den Echtzeit-Missbrauch von Kindern weltweit von deutschen Bankkonten über Zahlungsplattformen überwiesen wird. Manche Unternehmen des Finanzsektors geben sich mit der Einhaltung der gesetzlichen Mindestanforderungen zufrieden. Viele investieren bereits erheblich, um die sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel über ihre Dienste zu verhindern, auch in Deutschland ansässige Unternehmen und Finanzaufsichtsbehörden. Interdisziplinäre Initiativen zwischen Finanzdienstleistern, Tech-Konzernen, Behörden und NGOs wie das Umbra entwickeln Ansätze, um verdächtige Überweisungen automatisiert zu erkennen.

„Wenn eine Person mit einer Waffe in ihr Finanzinstitut eindringen würde, und ihre Kund/-innen und Mitarbeiter/-innen bedroht, würden Sie sofort den Notruf wählen” so Ruggiero. Unser Ziel muss sein, die Überweisung von Geld für die sexuelle Ausbeutung von Kindern über das Internet zu unterbinden. Denn in dem Moment, in dem das Geld eingegangen ist, beginnt auch der Missbrauch. In Anbetracht von fast 500.000 Kindern auf den Philippinen, die im Jahr 2022 von OSEC betroffen waren [5], forderte Ruggiero den Finanzsektor auf, ein Umfeld zu schaffen, dass die Ausbeutung von Kindern verhindert. Das Potential dafür ist groß und der Finanzsektor kann eine Schlüsselrolle dabei spielen. Doch auch die Politik ist gefordert, die entsprechenden Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. In ihrer Verantwortung liegt es:
- sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel stärker in die entsprechenden Gesetze zu Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung aufzunehmen.
- Unternehmerische Sorgfaltspflichten stärker zu verankern.
- effektive Zusammenarbeit und Informationsaustausch zu ermöglichen.
- Strafverfolgungsbehörden angemessen für Finanzermittlungen auszustatten.
IJM ruft den Finanzsektor und die deutsche Politik auf, die Geldtransfers zwischen Kriminellen zu stoppen, um den Missbrauch von Kindern zu beenden.
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Quellen
[1] S. 24 in Europol (2024): Internet Organised Crime Threat Assessment (IOCTA) 2024 [online] Link
[2] S. 24 in: Dr. Celiksoy, Ergul & Dr. Schwarz, Katarina (2023): Investigation into financial transactions used in the online sexual exploitation of children - The state of evidence. Hrsg.: University of Nottingham Rights Lab [online] Link
S. 18-19 in: AUSTRAC (2022): Financial Crime Guide. Sexual Exploitation of Children for Financial Gain. [online] Link
[3] S.16 in: International Justice Mission (2020): Sexuelle Ausbeutung von Kindern im Internet auf den Philippinen. [online] Link
[4] Statista Research Department (04.11.2024): Personal remittances received as share of the gross domestic product (GDP) in the Philippines from 2014 to 2023 [online] Link
[5] S. 21 in: Anti-Money Laundering Council (04.2023): Online sexual abuse and exploitation of children in the Philippines – An evaluation using STR Data [online] Link
[6] Empfehlung 5 auf S. 53 in International Justice Mission (09.2023 ): Scale of Harm [online] Link
[7] Beispielsweise:
S. 18-19 in: AUSTRAC (2022): Financial Crime Guide. Sexual Exploitation of Children for Financial Gain.
S. 34 in: Dr. Celiksoy, Ergul & Dr. Schwarz, Katarina (2023): Investigation into financial transactions used in the online sexual exploitation of children - The state of evidence. Hrsg.: University of Nottingham Rights Lab [online] Link
[8] IJM Indikatoren auf Anfrage
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Beitrag von Tim Wieck, Koordinator Advocacy und Programme bei IJM Deutschland